Kleinert-Stein bei Hohegeiß
Matthias Behne | Lautwieleise
Auf einen Blick
Die Inschrift auf dem grauen Feldstein lautet: „Am 1.8.1963 wurde 150 m von hier HELMUT KLEINERT vor dem Überschreiten der Demarkationslinie erschossen.”
Helmut Kleinert wurde 1939 in Süßwinkel (heute Kątna, Polen) geboren. Anfang 1959 lernte er seine spätere Ehefrau Marlit kennen, die er im Sommer 1959 heiratete. Ein Jahr darauf zog das junge Ehepaar nach Quedlinburg, wo Helmut Kleinert bei der Großhandelsgesellschaft für Haushaltswaren zunächst als Kraftfahrer, später dann als Lagerist Arbeit fand. Bald gebar Marlit Kleinert eine Tochter. In Quedlinburg wohnten auch die Eltern und ein Bruder von Helmut Kleinert. Zwei Schwestern und ein weiterer Bruder lebten dagegen in der Bundesrepublik. Bei einer Familienzusammenkunft Ende Juli 1963 zog Marlit Kleinert ihre im Rheinland lebende Schwägerin ins Vertrauen: Helmut und sie würden bald in den Westen flüchten.
Die Familie sah dem Paar hinterher, als es am späten Nachmittag des 31. Juli 1963 auf dem Motorrad von Quedlinburg aus aufbrach. Nachdem sie Königshütte passiert hatten, betraten sie zu Fuß das Sperrgebiet. Mit einer Wanderkarte ausgerüstet versuchten sie des Nachts, einen Weg zur Grenze zu finden, doch sie verliefen sich und kamen früh morgens wieder an der Stelle an, von der aus sie aufgebrochen waren. Der zweite Versuch war erfolgreicher. Gegen 14 Uhr traten sie aus dem Wald heraus und sahen über eine Wiese hinweg schon Hohegeiß. Als sie die 400 Meter bis zu den Grenzanlagen zurücklegen wollten, bemerkte sie eine Kontrollstreife.
Marlit Kleinert ließ sich festnehmen, ihr Ehemann dagegen lief weiter. Während der Postenführer Bruno K. Frau Kleinert abführte, nahm Unteroffizier Ewald S. die Verfolgung auf. Auf Befehl von Bruno K. gab er zunächst Warnschüsse ab und verletzte durch einen weiteren Feuerstoß den Flüchtenden an der Ferse. Auch die Posten eines Beobachtungsturmes bemerkten das Fluchtgeschehen und gaben Warnschüsse ab. Der Soldat Rudolf I. wurde daraufhin von seinem Postenführer beauftragt, Helmut Kleinert zu Fuß den Fluchtweg abzuschneiden. Doch dieser war bald unter den Sperrzaun hindurchgekrochen und versuchte, sich in einem Gebüsch zu verstecken. Laut einem Bericht der Grenztruppen schossen nun sowohl Ewald. S. als auch Rudolf I. in Richtung des Gebüsches. Da Helmut Kleinert vornübergebeugt kniete oder kroch, konnte ein Projektil so unglücklich in seinen Unterleib eindringen, dass es mehrere innere Organe und das Herz verletzte. Der Getroffene verstarb sofort.
Dies alles geschah vor den Augen von Zollbeamten und etwa 200 Kurgästen auf der westdeutschen Seite, von denen einige lautstark und empört die DDR-Grenzsoldaten als „Mörder” beschimpften.
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Gut zu wissen
Was war die deutsch-deutsche Grenze?
Durch die Beschlüsse der Konferenz von Potsdam wurde Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg in vier Besatzungszonen aufgeteilt. Bereits früh wurde der Verkehr über die Zonengrenzen reglementiert und Grenzpolizeien aufgestellt. Aus den drei Westzonen entstand 1949 die Bundesrepublik Deutschland, aus der Sowjetischen Besatzungszone die Deutsche Demokratische Republik. Beginnend mit einem Beschluss des Ministerrates der DDR vom 26. Mai 1952 wurde die Grenze zur Bundesrepublik nach und nach ausgebaut und militärisch bewacht. Spätestens mit dem Bau der Berliner Mauer am 13. August 1961 wurde die DDR-Grenze zu einem nahezu unüberwindlichen Hindernis. Den zeitlichen Höhepunkt der Grenzsicherung bildeten die 70er und frühen 80er Jahre. Zu dieser Zeit war die Grenze ein hochkomplexes Sicherheitssystem aus Streckmetall- und Signalzäunen, teilweise Sichtschutzmauern, Sperrstreifen, Wachtürmen, Hundelaufanlagen, Bodenminen und Selbstschussanlagen. Die Grenze diente dem Zweck, Menschen am Verlassen der DDR mit Gewalt zu hindern.